Theatertipps: Staatsoperper Hamburg

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molto agitato

9-20 | Eigentlich war Mussorgski zur Spielzeiteröffnung geplant. Aber Dank Corona bot die Oper an der Alster eine sehens- und hörenswerte Produktion mit dem italienischen Titel 'molto agitato', was in etwa erregt erörtern, aufwiegeln oder stören heißen kann. Das war für den Regisseur Frank Castorf fast eine "Steilvorlage", um die verschiedenen Werke zu interpretieren, die als Vorlage des Abends dienten. Mit dem musikalischen Leiter Kent Nagano wurde eine hoch interessante Stückauswahl zusammen gestellt.

Georg Friedrich Händel, György Ligeti, Johannes Brahms und Kurt Weill wurden unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano von drei Besetzungen des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gestaltet. Das Händelorchester und Weill-Orchester saßen im Graben, das Ligeti-Orchester wurde von der linken Seitenbühne hinein gefahren; die Brahms Lieder wurden auf dem Flügel von Rupert Burleigh begleitet. Alles kleine Besetzungen, so daß auch der Corona-Beauftrage keine Einwände hatte.

Katharina Konradi, Jana Kurucová, Matthias Klink und Georg Nigl waren die Gesangssolisten, die die unterschiedlichsten Charaktere aller bestens darboten. Hinzu kam im Brecht|Weill-Stück 'Die sieben Todsünden' die Schauspielerin Valery Tscheplanowa, die als Anna einen Höhepunkt im letzten Beitrag des Prgramms bot.

Aleksandar Denic brachte mit seinem Bühnenbild die Technik des Hauses aus den Fugen. Die Hauptbühne der Staatsoper ist vergleichsweise klein; bei Denic wird der Bühnen- und somit Spielraum aber durch die Hinterbühne und die dahinter befindliche Verladerampe ergänzt, was eine extreme Tiefenwirkung bot, die dazu noch durch Scheinwerfergassen betont wurde; tiefer geht's auch in Hamburg nimmer.
Wenig Requisiten bestimmten das Bild; an der tiefen Rückwand lehnte die amerikanische Flagge und eine große Coca-Flasche. Kleine und große Projektionsflächen kamen zum Einsatz. Video-Kameras filmten die Szene und auf der Leinwand vergrößert und somit verdeutlicht. Portraits der Sänger und ganze Bewegungsabläufe wurden so gezeigt, was vor allem bei Katharina Konradi in Ligetis Nouvelles Aventures eine großartige Wirkung ausmachte.

Regisseur Frank Castorf gelang es, das Thema aller 6 Geschichten, die Liebe mit und ohne Sex und die Macht miteinander zu verknüpfen. Ein besonderer Höhepunkt der Aufführung waren die Ausschnitte aus Händels 'Aci, Galatea e Poliferno'. Zu den von den vier Solisten natürlich wunderschön gestalteten Gesangsteilen wurde ein alter Zeichentrickfilm gezeigt, der diese mythische Geschichte von der Nymphe Galatea grandios erzählte.

So gab es einen Wechsel von spektakulärer Optik durch die Kamera mit ruhigen melodiösen Teilen. Tenor Mathias Klink sang von Brahms 'Ewiger Liebe' oder Georg Nigl bot mit seinem ansprechenden Bariton Brahms 'Lied vom Herrn Falkenstein.
Aber auch ohne Gesang, nur in gesprochenen Dialogen, wurde das Thema der Liebe seziert. Herrlich, wenn die vier Sänger alle in ihrer Landessprache und in ihrem heimischen Dialekt, kräftig darüber debattierten.

Knappe 2 Stunden ohne Pause wird dem Publikum eine besonders spannende Art von Musiktheater geboten. Mit Händels 'Ankunft der Königin von Saba' beginnt der Abend. Königin Elisabeth II. verließ in einem Video anläßlich der Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 ihren Besucher James Bond (Daniel Craig) mit dieser Musik.
Die Mikrotonalität György Ligetis in 'Nouvelle Aventures' bietet mit seiner phonetisch-musikalischen Komposition eine Art Hörtheater; durch die Video-Kamera wird die menschliche Isolation verdeutlicht.

Bei den Brahms Gesängen geht es um die Sehnsucht von Liebenden nach Vereinigung und den Kampf einer Liebenden um ihren Liebenden.

In 'Die sieben Todsünden' von Bertolt Brecht / Kurt Weill reist Anna durch die Metropolen der USA. Sie ist eine Person aus zwei Seelen. Ihr eigenes Leben zu wollen stößt in der amerikanischen Welt auf moralische Grenzen.

Dem Publikum wird ein spannendes optisches und musikalisches Ganze geboten, das einen herkömmlichen Opernabend sprengt, aber neue Dimensionen öffnet. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.


LULU

7.2.2020 | Dieses wunderschöne Werk nach der Textvorlage von Frank Wedekind konnte von Alban Berg nicht mehr vollendet werden. Von dem letzten Akt (Paris und London) konnte er nur einige wenige Teile, das Zwischenspiel und den Schluß, instrumentieren. Vollständig gab es davon nur Aufzeichnungen in Form eines 'Particells' für zwei Klaviere. 1934 nutzte er für die Lulu-Suite einige auch aus dem 3.Akt fertig instrumentiere Stücke; die Suite konnte er kurz vor seinem Tod noch hören. Unterbrochen wurde die Opern-Fertigstellung 1935 für eine Auftragsarbeit zu einem Violin-Konzertes für den amerikanischen Geiger Louis Krasner; Berg komponierte das Konzert in kurzer Zeit auch aus finanziellen Gründen. Kurz nach dessen Instrumentierung erkrankte Berg an einer Blutvergiftung, von der er sich nicht mehr erholte. Der Komponist konnte sein fertiges Violin-Konzert nicht mehr hören und danach nur noch die ersten 268 Takte des 3. Aktes seiner Oper Lulu instrumentieren. Alban Berg starb in der Nacht zum 24.12.1935.

Für die szenische Uraufführung in Zürich 1937 wurden für den nicht fertig gestellten Opernteil aus der Lulu-Suite die Variatonen Nr. 4 und das Adagio Nr. 5 mit der gesungenen Schluß-Apotheose der Geschwitz aufgeführt; von den 1.326 fehlenden Takten für den 3.Akt wurden so 390 vorhandene szenisch genutzt. Auch die Deutsche Erstaufführung 1953 in Essen hielt sich an diese musikalische Grundlage, um das grandiose Werk musikalisch und szenisch abzurunden. Diese musikalische Fassung war Grundlage für den Welterfolg dieses einzigartigen Werkes.

Friedrich Cerha komplettierte nach dem Particell die Instrumentalisierung des Werkes, die unter Pierre Boulez 1979 im Palais Garnier zu Paris erstmals als integrale Fassung uraufgeführt wurde.

In Hamburg ist es seit 1957 die vierte Inszenierung; jetzt mit einem neu entwickelten Schlußteil. Kent Nagano, der musikalische Leiter und Christoph Marthaler der Regisseur wählten als Grundlage für den 3.Akt eine gekürzte Realisierung der Particell-Fassung mit zwei Klavieren, 1 Geige. Das ergab klangtechnisch einen enormen 'Hör-Bruch' für den Zuhörer; er mußte sich nach dem berauschenden Orchesterklang erst an den reduziereten Klang gewöhnen.
Als Epilog erklingt zu dieser neuen Fassung Bergs Violinkonzert mit Orchesterbegleitung.

Der Besucher dieser Aufführung wurde auf dem Besetzungs-Zettel nicht auf Details dieser Fassung hingewiesen. Da durfte sich der Interessent durch das informative Programmheft arbeiten, um die Hinweise zu finden.

Frank Wedekind schrieb zu seiner Tragödie, daß in der Darstellung keine logischen Abläufe möglich seien. Das war für Christoph Marthalers Art zu arbeiten kein Problem. Anna Viebrock schuf mit einer Bühne auf der Bühne einen optisch sehr ansprechenden spielbaren Raum. Möbelteile, Treppen, Gitter ergänzten mit Requisiten aus dem Zirkus-Milieu das farbenfrohe Bild. Ihre Kostüme waren ebenso bunt. Das Kostüm-Bild für einige Herren der Schöpfung wies auf das hin, um was es eigentlich nur geht: sie trugen lange weiße Unterhosen zur normalen Kleidung oberhalb.

Marthalers Inszenierung war in der Erzählweise präzise, ohne jedes Detail erarbeiten zu wollen, so z.B. der Schuß mit der Pistole auf Dr.Schön. Die Handelnden liefen oft im Kreis, die Treppe auf und ab, ohne aber dadurch das wesentliche Spiel im Vordergrund zu stören. Die Zirkus-Figur des Aujust, der dem Tierbändiger die Schlange bringen soll, taucht im Laufe der Handlung immer wieder auf. Zu Beginn verschwindet er mit Lulu gleich in den Hintergrund und macht ihre Lust am Leben deutlich. Man merkt, daß das jeweilige Ansinnen ihrer Verehrer sie nicht besonders beeindruckt. Als Objekt der Begierde befindet sie sich oft auf einem Podest; das vom Maler Schwarz gestaltete Bild ist mehrfach in unterschiedlichen Größen vorhanden.

Neben Aujust sind vier weibliche Figuren (Lulu-Doubles?) im bunten Bilderreigen präsent. Sie übernehmen Lulus Dialogerzählung von Geschwitz' Cholera-Plan. Im Epilog beenden sie die Erzählung von Lulus Wirken neben Lulu im vollkommen sprachlosen Raum, während die Violinistin auf ihrem Instrument Alban Bergs Musik zaubert.

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg wird von Kent Nagano zu klangvollen, präzisen Höchstleistungen inspiriert. Fast entschuldigend wird im Besetzungszettel darauf hingewiesen, daß nicht die Kollegin, sondern Mojca Erdmann die Titelrolle verkörpert. Aber ihre Leistung konnte sich sehen und hören lassen. Die Gesangspartie schien ihr keine Probleme zu bereiten, auch nicht in den Spitzentönen. Ihre jungendliche Figur unterstützte ihr genaues Spiel; was will man da mehr.
Anne Sofie von Otter gestaltet eine beeindruckende Gräfin Geschwitz. Wie meist bei allen Beteiligten war ihre Textdeutlichkeit vorbildlich. Jochen Schmeckenbecher als Dr.Schön war in allen Belangen ebenso eindrucksvoll wie sein Sohn Alwa, den Charles Workman mit großem, wohlklingenden Tenor gestaltete. Schade, daß bei den vielen, immer gut besetzten Rollen, gerade der Tierbändiger zu Beginn eine gewisse Textverständnis vermissen ließ.

Die musikalische Begleitung des von Alban Berg nicht mehr instrumentieren Teils wurde am Klavier von Bendix Dethleffsen auf der Bühne und von der Seite von Georgiy Dubko im Zusammenspiel mit der Violinistin geleistet.

Die Violinistin Veronika Eberle war im Epilog die beeindruckende Künstlerin. Im sprachlosen Raum glänzte sie als Solistin bei Bergs Violin-Konzert. Da wurden die Zuhörer von der Leistung der Violinistin und vom Orchester versöhnt, die beim vorherigen Geschehen auf den Orchesterklang verzichten mußten. Großer Beifall belohnte alle Beteiligten.


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