Theatertipps: Oper Stuttgart
FAUST
10/16 | Da scheiden sich immer die Geister, wie man Gounods Meisterwerk betiteln soll. Nach Goethe mit 'Faust' oder doch lieber mit 'Margarethe' - zumindest als Zusatz. Das Stück beginnt mit Faust und dessen Begegnung mit Mephistopheles und Faust's Verjüngung. Aber je länger die Oper dauert, umso mehr dominiert Margarethe, mit deren Ende das Werk musikalisch auch großartig endet.
Diese Zweifel konnte auch die exzellente Neuinterpretation im Staatstheater Stuttgart nicht beheben - das macht aber nix. Frank Castorf führte Regie und erzählt klar und eindrucksvoll die Geschichte vom Faust, seiner Margarethe, deren Bruder, der Gesellschaft und dem Lenker des Geschehens Mephistopheles. Bühnenbildner Aleksandar Denic baute eine drehbare Szene mit Häusern, Café, Leuchtreklame und Straße im Paris zur Zeiten de Gaulles. Die Soldaten ziehen mit Valentin und Wagner in den Krieg nach Nordafrika. Videoprojektionen wechseln von historischen Aufnahme zu Liveaufnahmen des Geschehens auf der Bühne. Das ist auf jeden Fall keine deutsche Romantik. Das pralle Leben in der französischen Hauptstadt wird dem Zuschauer in dieser französischen Oper vorgeführt.
Faust trottet zu Beginn als alter Mann auf der Straße herum, Margarethe besucht schon mal ein Café, Mephistopheles hat zur Tarnung ein jüdisches Geschäft. Siebel ist hier keine 'Hosenrolle' sondern eine junge, attraktive Frau, die mit ihrer Freundschaft zu Margarethe mehr will, als nur eine platonische. Marthe Schwerdtlein ist alles andere als eine Sittenwächterin für ihre Nachbarin.
Jeder Winkel der Bühne wird so genutzt und die Videoprojektionen auf manchmal zwei Leinwänden sorgen dafür, daß der Zuschauer immer nah am Geschehen ist. Daß ist der Vorteil an der Inszenierung des Teams, da mit dieser Technik selbst ruhige Szenen, in denen nur die Musik dominieren kann, eine spannende Aussage über Gefühl und Handlung geben.
Musikalisch unter der Leitung von Marc Soustrot bewegt sich diese Produktion auf aller höchstem Niveau; das Staatsorchester Stuttgart sorgt für einen berauschenden klaren Klang.
Atalla Ayan gibt mit seiner Gesangskunst und Stimme die Titelfigur und ist ein Ereignis. Er führt diese Partie musikalisch auf höchste Ebene. Dazu kommt, daß der junge Darsteller auch die Regieintentionen glaubwürdig verkörpern kann. Ihm zur Seite ist Mandy Friedrich als Margharethe mit leuchtendem Sopran und intensiven Spiel. Dritter im Bunde dieser großartigen Sängerkonstellation ist der junge Adam Palka als Mephistopheles. Er setzt in allen Lagen seinen schönen Bass kantabel ein. Musikalisch und auch optisch ist er, später mit teuflisch behaartem Unterleib, eine Attraktion.
Gezim Myshketa als Valentin bietet einen heldisch wirkenden Bariton, der auch in den Höhen lyrische Qualitäten versprüht. Sophie Marilley ist Siebel und unterstützt die Interpretation ihrer Rolle mit ihrem wohlklingenden Mezzosopran; auch sie ist eine Augenweide auf der Bühne.
Selbst die manchmal nicht so dominant wirkenden Rollen, wie Wagner, profund gesungen und gespielt von Michael Nagl, sind in der Stuttgarter Aufführung ein wichtiger Aspekt. Iris Vermillion als Marthe Schwerdtlein gelingt es, ihre Figur fern vom Klischee einer verkrusteten Alten zu gestalten; sie macht es dem diabolischen Mephistopheles richtig schwer.
Diese Neuinszenierung der Oper Stuttgart ist ein weiteres Zeugnis dafür, daß das Haus zu Recht 2016 zum 'Opernhaus des Jahres' von den Kritikern der Fachpresse gekürt wurde.
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
In Stuttgarts wunderschönem Opernhaus gilt es, eine überregional beachtete Koproduktion mit 'Real Madrid' -natürlich dem dortigen Theater- zu erleben. Christoph Marthaler als Regisseur und seine Ausstatterin Anna Viebrock gaben zu Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" ihre eigene Sichtweise über den Dichter und seinen vier Geliebten. Unterstützt wurden sie von der opulenten fünfaktigen musikalischen Fassung von Sylvain Cambreling.
Alles spielt in einem Einheitsraum, einem Künstleratelier, der sich später zu einem Billard-Salon erweiterte; die Akte gehen nahtlos ineinander über. Zuschauertribünen geben den Gästen Gelegenheit zum Zusehen des Geschehens; zu Beginn werden diese als Chor mit Dirigent aufgestellt. In der Mitte des Saals steht ein Podest, auf dem Aktmodelle posieren; die hübsch anzuschauenden Damen lösten sich regelmäßig ab. Künstler an Staffeleien malten fleißig; eine liegende Plastik im Vordergrund lebte irgendwann auf. Im Hintergrund gab eine kleine Tür Einblick in Spalanzanis Labor, in dem schon zu Beginn kräftig gearbeitet wurde. Einzelteile für eine Figur werden hin- und her geschafft. Das Produkt dieser Arbeit machte sich dann schon zur Unzufriedenheit der Schöpfer selbständig und konnte hinter der Tür kaum gebändigt werden. Auf einer Bahre kam dann Olympia von dort heraus, um noch schnell 'backstage' in einen stehenden Zylinder mit der Sängerin umgepackt zu werden. An der Funktion ihrer Muskeln muß Spalanzani noch arbeiten; sehr schön wenn kein steifes Räderwerk erscheint, sondern ein lebendiges Wesen, das seine Glieder schlapp, noch nicht aufrichtig präsentieren kann.
Für den Antonia-Akt wurde das Podest etwas nach vorn gezogen, auf dem nun die Sängerin und nicht die Aktmodelle standen. Bei Crespels gab es schon einen Billardtisch. Im Venedig-Akt beherrschen für die illustre Gesellschaft viele Spieltische den Raum.
Marthalers Personenführung ist präzise, verzichtet aber auf realistisches Zeichnen der Vorgänge. Die Bühne bleibt in Bewegung, Solisten oder die Modells kommen und gehen, laufen quadratisch den Raum ab und singen auch schon mal von dort oder sitzen einfach. Die Solisten sind zumeist vorn und singen auch nach vorn, ohne einen Bezug zum Partner herzustellen. Viele Figuren werden sehr skurril in Figur und Bewegung hergestellt, was den 'phantastischen Sinn' des Ortes unterstützt, der ansonsten hell und fast steril wirkt, wären da nicht u.a. die grünen Farbtupfer der Billardtische.
Marc Laho ist am 4.Mai 2016 Hoffmann. Sein lyrischer Tenor klingt für diese Partie leicht und klangvoll; auf heldischen Glanz muß der Zuhörer verzichten, der Dank weglassen und 'leichtem Ansatz' auch vermieden wird. Sophie Marilley als ständige Begleiterin Niklas|Muse konnte sich neben ihm durch Stimme und Spiel stark profilieren. Der 'geplante Bösewicht' für den Abend war indisponiert; so kam der Regieassistent als Darsteller in Kostüm und Maske zum Einsatz. Gesungen wurde von der Seite hervorragend von Simon Bailey; man sah manchmal ihm bei seinem gesanglichen Engagement lieber zu als der Figur im langen Ledermantel.
Die Damen machten ihre Sache sehr gut. Ana Durlovski bot ihre Koloraturen gestochen scharf. Mandy Fredrich ist Antonia mit schönem Timbre. Besonders präsent in Stimme und Spiel ist die Giulietta von Simone Schneider. Als Stella rezitiert Altea Garrido ein Pamphlet von F.Pessao und ist weniger das vierte geliebte Wesen für Hoffmann.
Graham F.Valentine ist mit seiner großen schlaksigen Figur ein wunderbar skurriler Spalanzani; da spielt es keine Rolle, daß er seine Partie mehr charakterisiert als schön gestaltet.
Aufgeführt wurde die Geschichte mit zwei Pausen; aus dem Vor- und Nachspiel wurden großzügig zusätzliche Akte. Ohne Zeitdruck konnte die Partitur realisiert werden; auch einige Wiederholungen -auf die man aus Zeitmangel sonst gern verzichtet- brachten die Offenbachsche Musik zu optimalen, leichten Glanz. Das Staatsorchester Stuttgart und der Chor machten die Partitur auch bei den schnellen Tempi zu einem vierstündigen Hörgenuß.
Die Stuttgarter können sich freuen, daß auch in der kommenden Spielzeit 2016|17 diese wunderbare Aufführung zu sehen und zu hören ist.
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